Mittwoch, 20. November 2024

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Spannungsfeld Weserlandschaft – Kiesabgrabungen

Petershagen. Für uns alle – Bürger, Unternehmen oder öffentliche Institution – ist es heute eine Selbstverständlichkeit, dass Baustoffe jederzeit in gewünschter Menge zur Verfügung stehen. Ob für Gebäude zum Wohnen oder Arbeiten, ob für öffentliche Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser, Brücken, Tunnel etc.), ob für Kraftwerke oder Verkehrswege, kein anderer Baustoff hat in der Neuzeit für so viel Lebensqualität gesorgt wie Beton. Das Grundgerüst im Beton bilden mineralische Rohstoffe, vor allem Kies und Sand, die auch im Stadtgebiet in Kiesgruben längs der Weser produziert werden. Mit dem Kiesabbau einher geht eine Änderung des Landschaftsbildes: Landwirtschaftlich genutzte Flächen verwandeln sich in Seen, was immer wieder für Diskussionsstoff sorgt.

Blick auf die zwischen Ilse und der B482 gelegene Abgrabung der Firma Heinrich Meyer.

Entstehung der Kiesvorkommen

Dass in Petershagen Kies abgebaut werden kann, verdanken wir dramatischen Klimareignissen in der jüngeren geologischen Vergangenheit, dem letzten Abschnitt einer Epoche, die landläufig als Eiszeit bezeichnet wird. Während das Stadtgebiet in den zwei vorausgegangenen Kaltzeiten jeweils von mächtigen Eisschilden überfahren worden war, stieß die Gletscherfront während der letzten, als Weichsel-Kaltzeit bezeichneten Vereisungsphase nur bis auf die Höhe von Hamburg vor. 

In den eisfreien Landstrichen südlich der Gletscherfront herrschte ein sibirisches Klima. Wo im Mittelgebirgsraum nackter Fels anstand, hatte die Frostverwitterung leichtes Spiel. Durch die starke Erosion fielen an den Talhängen riesige Mengen von Gesteinsschutt an. Da das Wasser im tief gefrorenen Boden kaum versickern konnte, verursachten Schmelzwässer im Frühsommer enorme Hochwasserwellen und verwandelten das Wesertal in ein System verflochtener Flussläufe. Diese rissen Unmengen von Gesteinsschutt aus den Mittelgebirgen mit, dass bei der Reise im Fluss weiter zerkleinert, gerundet und bei nachlassender Strömung als Kies- und Sandbänke im Flussbett wieder abgesetzt wurde. Im Verlauf der Kaltzeit ist auf diese Weise in der Stadt Petershagen eine mächtige Flussterrasse aufgeschüttet worden, die weit über die Grenzen der heutigen Weseraue hinausreicht. Diese Terrasse zieht sich heute als vier bis fünf Kilometer breites und sechs bis zehn Meter, stellenweise sogar zwölf Meter mächtiges Band durch das Stadtgebiet. Kies und Sand füllen dabei eine breite Rinne, die die eiszeitliche Weser in den Untergrund eingeschnitten hatte. Den westlichen Rand der Rinne erkennt man an der auffälligen Geländestufe, die sich von Ovenstädt bis zur Schachtschleuse verfolgen lässt. Die Kurklinik Bad Hopfenberg liegt genau an dieser Stufe. Auf der gegenüberliegenden Seite, am östlichen Rand des Wesertales ist der Höhenunterschied nicht ganz so markant. Aber auch hier erkennt auf der Fahrt Richtung Osten leicht den Geländeanstieg vom Wesertal zur höher gelegenen Geestlandschaft.

Abbausituation

Kiesabbau wird in der Stadt Petershagen seit etwa 60 Jahren betrieben. Mit Betonrohstoffen versorgt werden von hier aus die Räume Osnabrück, Oldenburg, Bremen, das Sauerland sowie das östliche Niedersachsen — Bereiche, in denen Kies geologisch nicht oder nicht in ausreichendem Maß vorkommt. Die Gesamtfläche der ehemaligen und bis heute genehmigten Abgrabungen im Petershäger Wesertal entspricht weniger als drei Prozent der Fläche des Stadtgebietes. 

Aus ökonomischen und ökologischen Gründen wird die Kiesgewinnung in bestimmten Bereichen konzentriert. Kiesabbau findet derzeit nördlich und südlich von Wietersheim, in Bierde, im Raum Ilse-Gorspen-Vahlsen und in Ovenstädt statt. Bei den Kieswerken der Firmen Cemex in Bierde und Wika in Wietersheim-Süd sind die genehmigten Vorkommen nahezu erschöpft. Der Abbau wird hier voraussichtlich im kommenden Jahr enden. Bereits genehmigt, aber noch nicht in Betrieb genommen ist eine Abgrabung östlich der B482 in Höhe des Schleusenkanls zwischen Jössen und Windheim. Beim jetzigen Bedarf und Produktionsstand würden die derzeit im Stadtgebiet genehmigten Vorräte, alles zusammen gerechnet, den Bedarf noch für etwa zehn Jahre decken. Der Anteil Petershäger Werke an der Gesamtproduktion in NRW liegt bei zwei Prozent.

Im Cemex-Werk Lindhöpen in Bierde wird nur noch in der Nordwestecke gebaggert (oben Mitte). Die Halbinsel rund um das Waldstück (links im Bild) ist ein ehemaliges Spülfeld aus Sand, das sich selbständig zum Biotop entwickelt hat.

Politische Rahmenbedingungen

Von der Menge her stehen Kies und Sand an der Spitze des Pro-Kopf-Verbrauches von Rohstoffen in Deutschland. Um den Bedarf zu decken, mussten in den letzten Jahren bundesweit jeweils an die 220 Millionen Tonnen Kies und Sand produziert werden, Jahr für Jahr. In Berlin wurde soeben auf höchster politischer Ebene in einem Eckpunktepapier eine „Wohnraumoffensive“ beschlossen, um die aktuelle Wohnungsnot im Rahmen von Fördermaßnahmen unter anderem durch den Bau von 100.000 neuen Sozialwohnungen zu bekämpfen. Dazu gehört auch das Baukindergeld, mit dem Familien der Erwerb von Wohneigentum erleichtert werden soll. Auch an eine einfachere Bereitstellung von Bauland wurde in Berlin gedacht. Grundvoraussetzung zum Bauen ist allerdings, dass die dafür benötigten Materialien auch bereit stehen. 

Damit Bauherren auch in der weiteren Zukunft noch zeitnah und kostengünstig auf benötigte Baustoffe zugreifen können, ist es eine elementare Aufgabe der Daseinsvorsorge sicherzustellen, dass die dafür verwendeten heimischen Rohstoffe auch langfristig verfügbar sind. Diese Aufgabe obliegt der Regionalplanung. Deren Ziele stehen allerdings nicht immer im Einklang mit den Vorstellungen der örtlichen Politik und Verwaltung. Auch Kommunalpolitiker wissen um den Nutzen, den die Ausweisung von Baugebieten und der Wohnungs-, Industrie- und Gewerbebau für die Sicherung heimischer Arbeitsplätze, die kommunalen Finanzen und die Attraktiviät eines Standortes hat. Sollen Flächen für die Gewinnung der Baurohstoffe ausgewiesen werden,tut sich die Kommunalpolitik jedoch meist schwer. 

Da die gesetzlich geregelten Einflussmöglichkeiten einer Kommune auf die Genehmigung von Abgrabungen faktisch gering sind, probieren Politik und Verwaltung in der Stadt Petershagen aktuell eine neue Vorgehensweise. Auf den Weg gebracht wurde eine Arbeitsgruppe, in der gemeinsam mit Vertretern der Kieswerke über künftige Abgrabungen beraten werden soll, um städtische Belange frühzeitig konstruktiv mit in die Diskussion einbringen zu können.

Folgenutzung

Rohstoffgewinnung bedeutet stets einen Eingriff in das Landschaftsbild. Das gilt besonders für den Kiesabbau in den eiszeitlichen Flusstälern. Infolge des hoch anstehenden Grundwasserspiegels verwandeln sich landwirtschaftlich genutzte Flächen bei der Kiesgewinnung in aller Regel in Seen. Der Rohstoffabbau erfolgt jedoch nur für eine begrenzte Zeit. Danach bieten ehemalige Abgrabungen verschiedene Möglichkeiten für Folgenutzungen. In der Stadt Petershagen konkurriert dabei insbesondere der Naturschutz mit den Interessen der Menschen auf Naherholung, Angel- und Wassersport.

Dass die Kies- und Sandgewinnung besondere Chancen eröffnet, um in unserer heutigen Kulturlandschaft ökologische Nischen auch für bedrohte Tiere und Pflanzen zu schaffen,  dafür kann die Stadt Petershagen geradezu als Vorzeigebeispiel dienen. Rund um ehemalige Kiesabgrabungen sind im Stadtgebiet Naturschutzgebiete mit einer Fläche von 366,7 ha rechtskräftig ausgewiesen. Der Bereich „Biotop und Artenschutz” hat damit den bei weitem größten Anteil bei der Folgenutzung. Es sind die für viele Wat- und Wasservögel attraktiven strömungsfreien Wasserflächen sowie die renaturierten Ufer und Inseln der Kiesteiche, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass die Petershäger Weseraue als EU-Vogel-schutzgebiet ausgewiesen wurde. Die damit verbundenen Restriktionen wiederum haben in den vergangenen Jahren für neue Konflikte gesorgt (Fortsetzung folgt).

Blick auf das südlich von Wietersheim direkt an der Weser gelegene Werk der Wika Kies und Sand GmbH (rechts).

Text und Fotos: Dietmar Meier

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