Petershagen (ddm). Auf einer Wiese oder auf einem Acker an der Weser mehrere hundert nordische Gänse anzutreffen, die hier überwintern, ist für einen Fotografen eine reizvolle Angelegenheit und interessante Herausforderung. So wie es in diesem Winter vermehrt auch auf Flächen oberhalb des Petershäger Stauwehrs zu beobachten war. Bei betroffenen Landwirten hält sich die Begeisterung naturgemäß in Grenzen, da sich die Gänse auch größtenteils von dem ernähren, was der Landwirt auf den betreffenden Feldern angepflanzt hat.
Wie so etwas im Ergebnis aussehen kann, veranschaulicht die Luftaufnahme unten. Vor Weihnachten waren eine Woche lang fast durchgehend um 600 Blessgänse auf einem Feld nahe des Stauwehrs anzutreffen, auf dem der Landwirt im Herbst Weizen gesät hatte. Von Tag zu Tag war zu beobachten, dass sich die Gänse beim Fressen von der Mitte des Feldes stetig weiter zum Rand hin vorwärts bewegten, bis zu einem gewissen Abstand zu den umgehenden Wegen. Anhand der bräunlichen Verfärbung ist der betroffene Bereich auf der Luftaufnahme gut zu erkennen.
Fraßschäden dieser Art gehören zum Aufgabenbereich von Henning Ehlers. Der Experte für Ackerbau und Pflanzenschutz der Minden-Lübbecker Außenstelle der Landwirtschaftskammer kennt ein breites Spektrum von Schadensbildern. Diese fangen bei leichten oberflächlichen Fraßspuren an, wenn Gänse nur einmal kurz über eine Fläche gezogen sind, die Pflanzen aber im Kern noch gesund sind. Das geht bis zu nachhaltigen Schäden mit dem Resultat, dass bei der Ernte 20 Prozent des Ertrages fehlen oder die betroffene Fläche im Extremfall sogar komplett umgebrochen und eine neue Aussaat eingebracht werden muss.
Schon die Lage einer Fläche spielt dabei eine Rolle, berichtet Ehlers. Je ruhiger ein Acker gelegen ist, umso attraktiver ist sie für rastende Gänse. Flächen mit viel Bewegung herum sind bei Gänsen eher unbeliebt. Unterschiede gibt es in Bezug auf die Empfindlichkeit der betroffenen Nutzpflanzen. Aufgrund der längeren Vegetationszeit kann Weizen Fraßschäden besser ausgleichen als andere Getreidesorten. Wurde eine Fläche mit Gerste stark befressen, bilden sich hier im Frühjahr oft nur noch kleine Ähren und dünne Bestände aus, weil die Wachstumsphase im März/April nicht mehr zum Ausgleich ausreicht. Problematisch kann dies auch bei Raps sein, der etwas später, Anfang September angepflanzt wurde, falls im Frühjahr auch noch Frost dazu kommt. Intensiver Gänsefraß im Herbst und Winter kann dann dafür verantwortlich sein, dass die Pflanzen einfach eingehen.
Für Landwirte, die von Fraßschäden durch nordische Gänse betroffen sind, stehen Mittel zum Ausgleich zur Verfügung, praktisch als Maßnahme im Rahmen des Naturschutzes für die Wintergäste. Das gilt allerdings ausschließlich für Schäden durch nordische Gänse. Schäden, die von einheimischen Wildgänsen verursacht werden, werden nicht erstattet. Die Zahlungen erfolgen durch das Land NRW, das die entsprechenden Gelder später von der EU refinanziert, wie Henning Ehlers erläutert. Dass das mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden ist, lässt sich unschwer vorstellen.
Das Prozedere beginnt damit, dass die Landwirte die betroffenen Flächen bis Mitte März an die Landwirtschaftskammer melden und eine Schadenserstattung beantragen müssen. Danach findet vor Ort eine fachliche Begutachtung statt, bei der die Höhe des entstandenen Schadens durch Experten wie Henning Ehlers geschätzt wird. Schadensersatz wird in erster Linie für Flächen im Vogelschutzgebiet Weseraue gezahlt, das sich vom Stauwehr in Petershagen beidseitig längs der Weser bis zur nördlichen Stadtgrenze hinter Schlüsselburg zieht. Sofern deutlich wird, dass Schäden in der Tat durch nordische Gänse verursacht wurden, sind Erstattungen nach Auskunft von Henning Ehlers möglich.
Praktisch als Gegenleistung für die Erstattung der Schäden besteht im Vogelschutzgebiet ein Vergrämungsverbot für die Vögel. Ebenso gibt es hier zusätzliche Einschränkungen für die Jagd. Gegenüber der normalen Jagdzeit ist die Jagdzeit für Gänse im Vogelschutzgebiet durch Beschluss auf der politischen Ebene deutlich verkürzt worden.
Überraschende Antwort des Experten auf die Frage, wie sich denn Schäden, die durch im Herbst und Winter zugeflogene nordische Gänse verursacht werden (mit Erstattung), von Schäden unterscheiden, für die heimische Gänse verantwortlich sind (ohne Erstattung): „Per Definition anhand eines festgelegten Termins“. Und damit ist der Experte bei einem Punkt, der den Landwirten nicht nur hier in der Region zunehmend Sorgenfalten auf die Stirn treibt: Die Zunahme der Population der heimischen Gänse. Viele Fernreisende fühlen sich in der heimischen Landschaft insbesondere angesichts der zahlreichen Kiesteiche so wohl, dass sie zunehmend auf eine Rückreise in ihren angestammten Lebensraum verzichten. Heimisch gewordene Graugänse sehen nun mal nicht anders aus als im Herbst zugereiste Graugäns. „Schwierig wird es, wenn heimische Gänse eine Fläche schon vorgeschädigt haben und die nordischen anschließend erneut drauf gehen. Oder umgekehrt, wenn nordische Gänse im Februar abreisen, die heimischen Gänse aber dort verbleiben“. Dazu kommt noch das besondere Problem mit den Nilgänsen, die als invasive Art eingestuft durch ihr aggressives Verhalten anderen Arten zunehmend den Lebensraum streitig machen.