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ALS – ein Leben mit der unheilbaren Krankheit

Quetzen. 35 Jahre hat er auf dem Bau gearbeitet. „Im Job habe ich mich immer für die Kollegen eingesetzt“, erzählt Martin Brase, Familienvater, Ehemann und leidenschaftlicher Fußballfan. Bis ein Schicksalsschlag das Leben des 53-Jährigen und seiner Familie auf den Kopf stellte. Was war geschehen?

Martin Brase ist an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankt – eine unheilbare chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die unweigerlich zum Tod führt. Es kommt zum Verfall der Muskulatur. Als prominentester Patient ist der britische Physiker Stephen Hawking zu nennen, der im März dieses Jahres im Alter von 76 Jahren verstarb.

Wie bei Hawking ist auch Brase bei vollem geistigen Bewusstsein, während sein Körper nicht mitspielt. Brase wird rund um die Uhr zuhause gepflegt, verbringt sein Leben im Rollstuhl und bedient einen Computer (sog. „Letterpad“ inkl. Lautsprecher) mit reinen Augenbewegungen – die einzige Kommunikationsmöglichkeit, die ihm verbleibt.

Allerdings strengt das Schreiben mit den Augen an, weiß seine Frau Stefanie (55), die das Wort für ihn übernimmt. Eine Erleichterung wäre ein Muskelspannungssensor. Über die Augenbrauen geklebt, könne er sich damit bemerkbar machen, wenn er etwas möchte. Bislang muss man ihm ständig in die Augen schauen. Doch „die Krankenkasse hat eine Kostenübernahme abgelehnt“, erklärte sie in einem Interview am 6. September. Das Ehepaar Brase legte Widerspruch ein, aufgrund der rasant fortschreitenden Erkrankung sollte ihrer Meinung nach zügiger und unbürokratischer entschieden werden.

Im gleichen Zuge betonen sie ihre Dankbarkeit für jede Unterstützung, die der Familie zukam, auch indirekt: Seitens der Quetzener Dorfgemeinschaft zum Beispiel seien beim letzten Erntefest 700 Euro für die Krzysztof Nowak Stiftung (hilft ALS-Erkrankten und ihren Familien) und 665 Euro für den Hospizkreis Minden (Sterbe- und Trauerbegleitung) zusammengekommen.

Stefanie Brases zärtlicher Handdruck auf der Schulter ihres Mannes und sein Blick verrieten jedoch, wie schwer es ihnen fällt, über den Tod zu sprechen. Schließlich verbringen sie noch heute fröhliche Stunden mit den Kindern, der Familie und Freunden.

Erste Anzeichen zeigten sich bei Martin Brase Ende September 2016, als plötzlich Sprachstörungen auftraten. Auf Verdacht von Schlaganfall wurde er ins Krankenhaus verbracht. Im Dezember kam die Diagnose des Johannes Wesling Klinikums Minden: ALS – bestätigt von der Berliner Charité. Weitere Untersuchungen ergaben, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von zehn bis 15 Jahren bei ihm nicht zuträfe, sein Krankheitsverlauf schreite zwei bis drei Mal schneller voran. „Für uns ist eine Welt zusammengebrochen“, so Stefanie Brase.

Martin Brase war bereits im April 2017 auf das Letterpad angewiesen, kurz darauf auf einen Rollator, und im Juli musste er durch eine Magensonde ernährt werden. Im Oktober erlitt er eine Lungenentzündung. Letztlich entschied er sich für einen Luftröhrenschnitt, eine lebensverlängernde Maßnahme. Seitdem wird er heimbeamtet, seine Sauerstoffversorgung und Sekretabsaugung laufend überwacht. „Die Familie steht trotz aller damit verbundenen Einschränkungen hinter mir“, unterstrich er.

Stefanie Brase führte durchs Wohnzimmer, wo man praktisch eine komplette Krankenzimmerausstattung mit Bett, Geräten und Medikamenten vorfand, und erläuterte: „Meinem Mann ist es wichtig, dazu beizutragen, dass diese Krankheit weiter erforscht wird.“ Auf die Frage, wie es ihr dabei ginge, antwortete sie: „Er lacht viel, strahlt soviel aus und kämpft um jeden Tag. Das gibt den Kindern und mir Kraft. Wir sind dankbar für jeden gemeinsamen weiteren Tag.“

Seit Januar sei Martin Brase „stabil“. Aber „wir haben Angst davor, dass die Augenmuskeln irgendwann versagen, dann ist keine Kommunikation mehr möglich.“ Daran mag jetzt aber keiner denken.

„Ich bin glücklich, dass ich in Quetzen lebe und wir zusammen sind“, tröstete er seine Frau.

Text und Foto: Namira McLeod

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