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„Todeskurven“ sollten weg – Wo verlief damals die B61?

Todtenhausen. Eine alte Leitplanke mitten im Wald und eine Baumwurzel verraten: Die B61 an der Stadtgrenze zwischen Todtenhausen und Petershagen verlief nicht immer schnurgeradeaus. Warum der alte Straßenverlauf begradigt wurde und was das verlassene Hotel Grashoff damit zu tun hat, erklärt unter anderem Zeitzeuge Manfred Doebler.

Ehepaar Manfred und Marita Doebler.

Es sind zum Teil schmerzhafte Erinnerungen, die der Todtenhauser an die alte Bundesstraße 61 (B61) hat, auch aus Erzählungen seiner Eltern und Großeltern. War sie als Bindeglied der preußischen Fernstraße von Minden nach Koblenz um 1850 in seiner Heimat noch für Postkutschen ausgelegt, befuhren in den 1920er Jahren schon massenhaft „moderne Automobile“ das Straßenpflaster. Doch nichts war so tödlich wie der „Autoboom“ in den 1950er Jahren.

„In der Nachkriegszeit waren die Autos nicht so straßensicher ausgelegt wie heute“, erklärt Manfred Doebler aus Todtenhausen in einem Interview. „Die Radaufhängung war einfach nicht kurvengeeignet. Die B61 erwies sich mehr und mehr als ungeeignet. Deshalb sprechen wir noch heute von ‚Todeskurven’. Da gab es einmal die Todeskurve Grashoff und einmal die Todeskurve Am Thorn.“ Bei Letztgenannter verlor der heute 67-Jährige seine Großmutter, lag sein Geburtshaus doch direkt an der Bundesstraße. „Außerdem stand alle zwei Monate ein Auto in unserem Garten. Einmal verlor ein Lkw sogar Stahlträger. Die lagen dann wochenlang bei uns auf dem Grundstück.“

Auch der Tonabbau im Heisterholz für die hiesigen Ziegeleien trug damals seinen Teil dazu bei. Täglich ‚donnerten’ Lkw vorbei, erinnert sich Doebler. Noch heute befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite von Todtenhausen zwischen Weser und der neuen B61 die ehemalige Tonindustrie Heisterholz KG (heute: BMI Braas Dachsysteme). Die Tongruben westlich der B61 wurden zwischenzeitlich renaturiert und als Seen ins Naturschutzgebiet Heisterholz überführt.

In den 1950er Jahren zu Zeiten des Wirtschaftswunders war daran noch nicht zu denken. Zu wichtig war die Fernstraße in Nord-Südrichtung für den Durchgangsverkehr. Die verschiedenen Bezeichnungen im Laufe der Zeit brachten es klar zum Ausdruck: Kreisstraße, Chaussee, Provinzialstraße, Reichsstraße, Bundesstraße 61 (laut Wilhelm Stühmeier in dem 1978 erschienenen Werk „Chronik des Dorfes Todtenhausen“). Aber es musste sich etwas am Straßenverlauf ändern. Die ‚Todeskurven’ forderten zu viele Opfer.

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So verlief die alte B61 doch praktisch mitten durchs Dorf, erinnert sich Doebler: von Minden aus kommend mit der Todeskurve Am Thorn beginnend, an der Gemeinschaftshauptschule Todtenhausen vorbei bis zum ehemaligen Hotel Grashoff, wo sich in der Nähe die alte Ziegelei befand, weiter hinter der Hotel-Ruine bis zur Straße Nehrensbrink über den Petersbach hinweg quer durch den Heisterholz, bis sie in die heutige Bundesstraße 61 mündete. Ein Straßenverlauf, der aktuell kaum noch nachvollziehbar ist, wären da nicht die zwei Spuren im Wald:

Betritt man von der Straße Nehrensbrink das Waldgebiet Heisterholz, begegnet einem schon am Anfang des Weges eine alte Leitplanke. Läuft man dann auf dem Waldweg Richtung Naturschutzgebiet Kohbrink parallel zur neuen Bundesstraße, finden sich an den Wurzeln eines umgestürzten Baumes sowie unter der dünnen Laubschicht am Boden Spuren von einem Straßenpflaster aus längst vergangenen Tagen. Der damaligen Abfahrt zu den Tongruben geschuldet und heute noch erkennbar, verlief die alte B61 zudem deutlich unterhalb der neuen Bundesstraße.

Leitplanke im Wald im Naturschutzgebiet Kohbrink.

Eindeutige Hinweise, die Veranlassung zu diesem Bericht gaben. Sollte die B61 doch später Minden und Petershagen verbinden. Doch bevor es soweit war, mussten die „Todeskurven“ weg – und damit auch angesiedelte Häuser, die der Begradigung der Bundesstraße im Wege standen. „Ab Valentinsmühle wurde in den 1960er Jahren damit angefangen, Bäume zu fällen, Grundstücke abzukaufen, Häuser abzureißen. Alles wurde abgebaggert, um die beiden Kurven zu begradigen“, so Doebler.

Auch die sogenannten „Loren“, Schienentransportwagen, die einst den Ton vom Abbaugebiet im Heisterholz zur alten Ziegelei nahe Grashoff transportierten, sowie die Mindener Kreisbahn (MKB), die zur Personenbeförderung zwischen Minden-Stadt, Minden-Oberstadt, Kutenhausen, Todtenhausen und Bahnhof Grashoff diente, wurden stillgelegt, erwähnte seine Frau Marita Doebler. „Wir konnten damals bei Grashoff einsteigen“, erinnert sie sich an die Station. Ein im Kohbrink aufgefundener würfelförmiger Stein mit der Inschrift „G9“ bzw. „G2“ könnte vermutlich das letzte Relikt einer Gleise der MKB sein, die durch den Heisterholz Richtung Petershagen verlief. Die Ruine des Hotels/Gasthofs Grashoff aus dem Jahre 1821 zwischen Nehrensbrink und Bremer Straße stellte in ihrer Kindheit und Jugend den Dorfmittelpunkt dar. Die alte Ziegelei wurde später durch die größere Tonindustrie Heisterholz ersetzt.

Spuren eines Straßenbelags der alten B61 an einer Baumwurzel.

Nun, seit den 1960/70er Jahren ist es soweit: Die „Todeskurven“ Grashoff und Am Thorn wurden begradigt, die Bundesstraße 61 hat ein neues Straßenpflaster, verläuft schnurgeradeaus und verbindet bei Todtenhausen die Städte Minden und Petershagen. Eine spannende Spurensuche geht zu Ende, die bei Manfred Doebler nicht nur unangenehme Erinnerungen weckte. „Gegenüber am Ortsteil Thoren entstand im Zuge der Begradigung der B61 ‚Valentins Teich’. Er gehörte Familie Altvater vom Thoren und war für mich und meine Kinder ein wunderbarer Badesee. Hier konnten wir im Sommer schwimmen gehen und im Winter Schlittschuhlaufen. Das war eine schöne Zeit.“

 

Text: Namira McLeod, Fotos: Namira McLeod (3), Dietmar Meier (1), Wilhelm Seele/privat (2) 

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