In der Woche vor Ostern sind wir mit dem Weidegang der Kühe gestartet. Die Weidesaison geht etwa von April bis Oktober, manchmal auch bis in den November. Die Trockensteher (Kühe vor dem Kalben, welche keine Milch mehr geben) sind dann für circa vier Wochen Tag und Nacht auf einer Weide. Zwei Wochen vor dem Kalben werden sie in einen extra Stall geholt zur genauen Beobachtung und Fütterung.
Vor dem ersten Weideaustrieb mussten die Weiden und Wiesen wieder auf Vordermann gebracht werden. Beim Striegeln wird, ähnlich dem Vertikutieren, die Grasnarbe gelockert, abgestorbene Gräser gelöst, der Boden belüftet und an lichten Stellen Gras nachgesät. Weiter mussten die Zäune und Pfähle ausgebessert und überprüft werden.
Das Starten der Weidesaison ist immer eine spannende Angelegenheit: Die Kühe sind aufgeregt, manche sind freudig und neugierig, andere unsicher bis angespannt. In diesem Jahr dauerte es länger als sonst bis sich die laktierenden Kühe an den neuen Ablauf gewöhnt beziehungsweise diesen erlernt haben. Bei uns werden die Kühe über den Melkroboter auf die Weide geschickt. Dazu stellen wir den „Weideaustrieb“ an. Nach dem Melken schwenkt das Tor hinter dem Roboter nach links anstatt nach rechts in den Stall — die Kuh geht dann über einen Weg, außen am Stall entlang, durch ein weiteres Tor und schon ist die Wiese erreicht. Sie kann dann selber entscheiden wann sie wieder in den Stall möchte. Hier geht sie durch ein Tor im hinteren Bereich des Stalles wieder rein. Aber ganz so einfach ist das Ganze nicht. Beide Tore gehen nur in eine Richtung auf. So haben wir quasi für den Weidegang ein Einbahnstraßensystem. Die Kühe müssen sich jährlich neu auf ihr „Weidediplom“ einstellen. An sich sind beide Tor-Varianten den Kühen aus dem Stall bekannt. Kühe sind jedoch Gewohnheitstiere, manche haben fast autistische Züge und haben mit Veränderungen Probleme. Manche Tiere macht es schon skeptisch, wenn das Tor hinter dem Roboter in einer anderen Position steht. Junge Kühe müssen das System häufig erst noch komplett kennenlernen und verinnerlichen. Da sind die neugierigen Kühe klar im Vorteil, da sie einfach ausprobieren oder nachahmen. Die älteren Kühe kennen das System schon aus den Vorjahren — manche meistern auf Anhieb und ganz gelassen das „Weidediplom“. Viele stehen die erste Zeit am „Eingangstor“ und wollen von dort aus raus. Dann ist da noch der Nachahmungseffekt merkbar vor allem bei der Rückkehr in den Stall. So kann es sein, dass 20 Kühe auf der Weide liegen oder stehen. Eine geht Richtung Stall und andere machen sich auch prompt auf den Weg. Die größte Hürde scheint das aus dem Stall und dann noch um die Ecke gehen zu sein. Hier staut es sich gelegentlich auf bis wir oder eine souveräne Stallgenossin den Weg aus dem Stall aufzeigen.
Durch das stetige „Kommen und Gehen“ ist immer nur ein Teil der Herde gleichzeitig auf der Weide am Stall zu sehen. In der ersten Zeit holen wir die Kühe auch zwischendurch wieder rein, damit sie den Weg in das Eingangstor am Stall kennenlernen. Sie können aber auch ohne Melken wieder zurück auf die Weide. Sie müssen nur den Roboter betreten. Dieser entscheidet dann, anhand seiner Programmierung, in welche Richtung das Tor öffnet. Eine Kuh, welche gerade vor einer Stunde gemolken wurde, wird auf die Weide geleitet. Steht das Melken zeitlich kurz bevor, wird sie im Stall gelassen, damit sie dann direkt nach dem Melken auf die Weide kommen kann.
Die Zusammensetzung der Kuhherde verändert sich immer etwas. Trockensteher gehen in den „Mutterschutz oder Jahresurlaub“, Kühe nach dem Kalben kommen in die Herde dazu. So beginnt das Lernen für das Weidediplom oft auf ein Neues, geht aber deutlich schneller, da die „Neuen“ sich viel abgucken können.
Die letzten beiden Weidesaisons waren durch die Hitze stark verkürzt. So waren die Damen fast nur im Frühjahr draußen. Da Kühe ein höheres Wärmempfinden im Vergleich zum Menschen haben sind 98 Prozent der Kühe postwendend zurück in den etwas kühleren Stall gegangen und haben sich von den Ventilatoren ein Lüftchen um die Ohren wehen lassen. Die übrigen zwei Prozent hielten sich nur sehr kurze Zeit auf der Weide auf, bis sie wieder in den Stall gingen. Auch war der Graswuchs nicht mehr gegeben.
Nun hoffen wir auf eine längere Weidesaison. Mittlerweile haben fast alle Kühe der derzeitigen Herde das Weidediplom 2020 abgelegt. Die anderen sind noch in den Prüfungsvorbereitungen und werden es hoffentlich auch bald schaffen. Auf jeden Fall passt der Begriff „dumme Kuh“ nicht auf die Absolventinnen des Weidediplomes.
Text: Birte Teikemeier, Foto: Krischi Meier