Donnerstag, 21. November 2024

Anzeige

Annalena trifft… Uwe Knorr, Leiter des Kraftwerks Heyden

Seitdem die BNetzA im Dezember 2020 im Rahmen der 1. Auktion zum Kohleausstieg angekündigt hatte, den Block 4 des Kohlekraftwerks Heyden in Lahde schon Mitte 2021 schließen zu wollen, richten sich die Blicke aus vielen Richtungen verstärkt nach Lahde, auch im Zusammenhang mit dem Thema Energiewende insgesamt. Indiz dafür ist auch die beträchtliche Zahl von Zugriffen auf die Online-Beiträge des Petershäger Anzeigers über Entwicklungen rund um das Kraftwerk, wie zuletzt auch auf die gemeinsame Erklärung des Unternehmens und der Stadt Petershagen über die zukünftige Nutzung des Kraftwerkgeländes. Vor diesem Hintergrund hat sich die Redaktion sehr gefreut, dass der Leiter des Kraftwerks, Uwe Knorr, kürzlich für ein Interview mit dem Petershäger Anzeiger zur Verfügung stand.

Ausgerüstet mit 30 Jahren Erfahrung im Unternehmen ist Uwe Knorr seit inzwischen 10 Jahren in Ostwestfalen heimisch. Seit 2015 leitet er das Kraftwerk Heyden, zuvor war er vier Jahre im Gemeinschaftskraftwerk Veltheim verantwortlich.

Herr Knorr, wann genau wird Heyden 4 derzeit eingesetzt?

Seit dem 1. Januar 2021 hat der Block 4 den Status eines Reservekraftwerks. Das bedeutet, dass wir nicht mehr für den allgemeinen Strommarkt produzieren. Wir werden also nicht mehr durch ein Stromhandelsunternehmen, sondern ausschließlich durch den Höchstspannungsnetzbetreiber Tennet eingesetzt. Tennet gibt den Takt vor, wann wir anzufahren haben und wann wir abzustellen haben. In der Praxis bedeutet dies, dass wir hauptsächlich zur Netzstabilität benötigt werden und vorwiegend nachts oder am Wochenende Strom erzeugen, primär in den windarmen Zeiten. Im Herbst oder im Winter müssen wir den Block 4 also eher weniger hochfahren.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „systemrelevant“?

Eigentlich sollte das Kraftwerk im Juli 2021 endgültig geschlossen werden. Das war zumindest das Ergebnis der ersten Auktion, für die wir einen Zuschlag bekommen haben. Dann hat der Netzbetreiber gemeinsam mit der Bundesnetzagentur nochmals genau geprüft, ob ein vollständiger Verzicht auf Heyden 4 tatsächlich möglich ist. Das Ergebnis dieser Überprüfung war, dass Heyden 4 „systemrelevant“ ist. Das bedeutet, dass das Kraftwerk zwar perspektivisch geschlossen werden kann, aber derzeit nach wie vor benötigt wird, um die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Da der notwendige Netzausbau im hiesigen Raum derzeit noch nicht weit genug vorangeschritten ist, könnte eine vollständige Schließung des Kraftwerks unter Umständen zu einem nicht kalkulierbaren Risiko im Netz führen. Sobald der Netzumbau abgeschlossen ist, wird Heyden wohl nicht mehr systemrelevant sein und kann dann abgeschaltet werden. Den genauen Zeitpunkt dafür muss aber Tennet definieren. Angedacht ist derzeit 2025. 

Anzeige

 

Wie ist die Umrüstung des Kraftwerks geplant?

Das Kraftwerk ist vorerst noch bis zum 30. September 2022 für systemrelevant erklärt worden. Ab dem 1. Oktober 2022 soll dann der Umbau zu einem sogenannten rotierenden Phasenschieber erfolgen, der zum 1. April 2023 in Betrieb gehen soll.  Ab dann wird nur noch der Generator benötigt, die Kohleverbrennung und auch die Rauchgasreinigungsanlage fallen weg. Grob umschrieben wird der Generator von der Turbine getrennt und stattdessen mit einem Elektromotor angetrieben, der Strom vom Netz bezieht. Der Generator fährt auf 3000 Umdrehungen hoch und synchronisiert sich mit dem 380kV-Netz. Ab dann rotiert er selbstständig.  Nach der Umrüstung liefern wir Blindleistung, um das Stromnetz zu stabilisieren. 

Am letzten Oktoberwochenende ist Heyden 4 teilweise Vollast gefahren. Was war der Hintergrund dafür?

Durch das Bundesemissionsschutzgesetz ist festgelegt, dass wir in bestimmten Abständen Emissionsmessungen durchführen müssen, um nachzuweisen, dass unsere Geschäftsbetrieb der Verordnung entspricht und die festgelegten Grenzwerte beispielsweise bei Quecksilber, Feinstaub oder Schwermetallen eingehalten werden. Dazu wurde das Kraftwerk teilweise auch auf Vollast gefahren. Die Messungen hat eine Fachfirma mit dem entsprechenden Equipment durchgeführt. Mit den Ergebnissen ist in sechs bis acht Wochen zu rechnen. Die Auswertung geht dann uns und der  Bezirksregierung in Detmold, die als Aufsichtsbehörde für das Kraftwerk zuständig ist.

Warum ist das Kraftwerk jetzt noch in die Revision gegangen, wenn es im kommenden Jahr umgebaut werden soll?

Es gibt immer Bauteile, die sich beim Betrieb abnutzen. Wir müssen in jedem Fall vorgegebene Prüfungen durchführen, etwa an Druckbehältern, und Verschleißreparaturen erledigen, um sicherzustellen, dass das Kraftwerk für ein weiteres Jahr betriebsbereit ist.

Nachtaufnahme des Kraftwerks Heyden vom 31. 10. 2021. Fotos: ddm

Wie ist es künftig um die Arbeitsplätze in Heyden 4 bestellt?

Aktuell hat das Kraftwerk Heyden 78 Mitarbeiter. Für deren Zukunft wird es einen Sozialplan und einen Interessenausgleich geben, der mit der Arbeitnehmervertretung, dem Betriebsrat, vereinbart wird. Dazu gibt es Regelungen wie Vorruhestand, Abfindungen, Wechsel im Konzern, alles ist möglich. Es wird natürlich auch Personal für den Betrieb des Phasenschiebers benötigt, so dass für einige Mitarbeiter auch die Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung besteht. Das wird zur Zeit mit Tennet geklärt.

Angenommen Sie wären in der verantwortlichen Position, um die Energiewende zu organisieren. Wie würden Sie vorgehen?

Zunächst mal muss geprüft werden, welchen Energiebedarf wir in Deutschland zukünftig haben werden. Natürlich muss ich auch prüfen, ob genügend Energie zur Verfügung steht, wenn keine Sonne scheint und wenn kein Wind bläst. Gibt es für diesen Fall genügend technische Alternativen in Form von Speichern, Gaskraftwerken, Biomasse, Wasserstoff etc.? Wieviel Kapazitäten müssen unter Umständen kurzfristig nachgerüstet werden? 

Wie sehen die Erzeugungskapazitäten im europäischen Verbundnetz aus? Kann ich gewährleisten, den Energiebedarf zu decken, um Deutschland als Industrienation konkurrenzfähig zu halten und sicherstellen, dass es nicht zu einem Blackout kommt?

Wenn alle diese Fragen geklärt sind, kann ein verlässlicher Fahrplan erstellt werden. Wenn ich ein Kohlekraftwerk abschalte, muss ich auch genau wissen ob diese Erzeugungslücke wieder ausgefüllt werden kann und muss. Wie kann ich die Energie ersetzen, die dieses Werk bis dahin in windarmen oder kalten Jahreszeiten erzeugt hat? Wenn die bestehenden Anlagen dafür nicht ausreichen, muss ich nachrüsten und Anlagen bauen, die kostengünstig Energie erzeugen, um Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Das betrifft nicht nur die erneuerbaren Ernergien, sondern unter anderem auch moderne Gaskraftwerke, welche Wasserstoff als Brennstoff nutzen können. Dieser Prozess muss zügiger vorangehen und möglicherweise auch stärker subventioniert werden.

NRW hat im Jahr 2020 beispielsweise nur 283 MW Windkraft nachgerüstet. Vom Netz geht im kommenden Jahr allerdings viel mehr Leistung. Einige Kernkraftwerke (z.B. Grohnde) werden endgültig abgeschaltet, einige Kohlekraftwerke gehen außer Betrieb, diese Erzeugungskapazitäten stehen ja 2022 nicht mehr zur Verfügung. Zudem muss der Netzausbau deutlich schneller voran gehen. Die in Windparks offshore und onshore gewonnene Energie muss auch an die Stellen transportiert werden können wo sie benötigt wird. Auch wird dieser Strom erforderlich um Wasserstoff zu erzeugen.

Aufgrund der wirtschaftlichen Situation, in der sich die Welt zur Zeit befindet, auch bedingt durch Corona, können solch komplexe Anlagen nicht von heute auf morgen installiert werden. Eine Energiewende zu wollen, bedeutet auch die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Blick auf die Kohlehalden am Standort Heyden am 29. 10. 2021.
Das könnte Sie auch interessieren