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Hochwasser zum Jahreswechsel

Über den Jahreswechsel beherrschte das Hochwasser, das vor allem viele Bereiche in Norddeutschland betraf, die Schlagzeilen.
27. Dezember: Wie auf einer Warft: Die ehemalige Ziegelei in Jössen. Foto: Dietmar Meier

Petershagen (ddm). Über den Jahreswechsel beherrschte das Hochwasser die Schlagzeilen, das vor allem in Norddeutschland für viel Arbeit für die Feuerwehren, Rettungskräfte und freiwilligen Helfer sorgte. Durch die Niederschläge im November und Dezember waren die oberen Bodenschichten vielerorts bereits so gesättigt, dass die heftigen Niederschläge in der Woche vor Weihnachten kaum noch versickern konnten. Auch entlang Ösper, Aue und Gehle bildeten sich immer mehr Seen auf den angrenzenden Wiesen und Felder. Am Samstag vor Heiligabend begegneten wir in Bad Hopfenberg nachmittags Landwirt Friedrich Wehking, als der dabei war, Heuballen von einer Wiese vor der Kurklinik auf einem Anhänger zum Abtransport zu verladen. Zu diesem Zeitpunkt stand der Pegel Petershagen bei 6,55 m und die Weser hatte sich nördlich der Weserbrücke noch nicht sonderlich über ihr Bett hinaus ausgebreitet. Der Landwirt berichtete, dass die Wiese laut der vorliegenden Informationen am folgenden Tag, Heiligabend, sicher überflutet werden würde. Und er sollte Recht behalten. 24 Stunden später hatte die Weser die Wiese der Kurklinik über eine Senke in den umgebenden Feldern tatsächlich erreicht.

 

Aufnahme vom 25. Dezember. Foto: Dietmar Meier

Wasserwelten

Genau wie im Bereich Bad Hopfenberg machte die Weser auch auf Höhe von Heisterholz von Samstag auf Sonntag (Heiligabend) den entscheidenden Schritt in die Breite. War der Schiffsanleger am Samstag Mittag noch ungehindert erreichbar, war die Fläche zwischen Schiffsanleger und Weserradweg am Tag drauf komplett überspült. Auf Höhe der Ortschaft Petershagen war die Weser in diesem Zeitraum über die Straße Weserpromenade hinaus bis in die Vorgärten der ersten Häuserreihe der Altstadt vorgerückt. Ähnliche Bilder auch ein Stück weiter nördlich, beim Blick von der Pottmühle in Richtung Jössen und Gernheim. Auch hier hatte die Weser am Heiligabend bereits erhebliche Teile der Felder und Wiesen des Wesertales überflutet. Die Entwicklung einmal in Zahlen dargestellt: von Samstag 6 Uhr bis Sonntag 16.30 Uhr kletterte der Wasserstand am Pegel Petershagen um fast einen Meter, von 6,40 Meter auf 7,33 Meter. Über die Weihnachtstage stieg die Weser weiter an, wenn auch langsamer, bis am Tag nach Weihnachten am Pegel Petershagen morgens um 8 Uhr der Höchststand von 7,74 Meter gemessen wurde. In den Tagen bis Neujahr sank der Wasserstand zunächst langsam, aber kontinuierlich. Der Pegel Petershagen vermeldete am 2. Januar einen Stand von 6,60 Meter. Dann noch mal eine Kehrtwende: weitere Regenfälle sorgten dann für einen erneuten Anstieg auf 7,00 Meter. In den Folgetagen verharrte der Wasserstand auf diesem Niveau. Dann endlich ging das Hochwasser stetig zurück. Am 11. Januar wurde die Hochwassermarke I von 5,86 Meter wieder unterschritten (Hinweis: Die Zahlen bezeichnen nicht die Wassertiefe, sondern den Abstand des Wasserspiegels zum Nullpunkt des Pegels).

 

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Was machen die Deiche?

Viele Blicke gingen während der Hochwasserlage nach Schlüsselburg und Hävern auf den Zustand der Deiche, die die Ortschaften schützen. Aus Hävern gab es dazu in der Zeit keine besonderen Meldungen. In Schlüsselburg, wo die jüngsten Untersuchungen gezeigt haben, dass beim Deich Sanierungsbedarf besteht, wurden zweimal täglich Kontrollen der Anlage durchgeführt. Am 30. Dezember hatte die Feuerwehr mit Unterstützung aus der Ortschaft sicherheitshalber auch noch rund 2.500 Sandsäcke befüllt, um für eine eventuelle Durchweichung des Deiches angesichts weiterer angekündigter Regenfälle gerüstet zu sein. Dabei wurden in 1,5 Stunden 25 Tonnen Sand bewegt. Da der Wasserstand in den folgenden Tagen keinen kritischen Wert mehr erreichte, kamen die Sandsäcke nicht zum Einsatz. Was in Schlüsselburg besonders gut beobachtet werden konnte, war die Entwicklung flacher Seen auf der Innenseite des Deiches durch Wasser, das unter dem Deich durchsickert und dann hinter ihm aufsteigt und zu Tage tritt. Dieses Phänomen — meist als Qualmwasser bezeichnet – hat seine Ursache in dem durchlässigen Untergrund aus Kies, Sand und Schluff unterhalb des Deiches. Zum Verständnis: Stellen Sie sich einfach ein mit Sand gefülltes U-Rohr vor, in das auf einer Seite Wasser eingefüllt wird. Nach einiger Zeit – je nach Durchlässigkeit des Sandes – hat sich der Wasserstand auf beiden Seiten des Rohres angeglichen. Übrigens: Aufsteigendes Grundwasser, das von unten in Häuser eindringt, ist nicht versicherbar, im Unterschied zu Wasser, das „von oben“ ins Haus hineinläuft – hier ist jedoch eine spezielle Extremwetterschutz-Police erforderlich.

Schlüsselburg am 26. Dezember: Der Deich hält das Wasser zurück. Foto: Dietmar Meier
Schlüsselburg am 31. Dezember: Die Seen hinter dem Deich entstanden durch Qualmwasser. Foto: Dietmar Meier

 

Eisiges Vergnügen

Als es mit dem Wasserstand der Weser in der zweiten Januarwoche endlich bergab ging, löste sich die zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossene Wasserfläche langsam auf. Doch überall dort, wo auf den Feldern und Wiesen in der Weseraue muldenförmige Senken ohne Anbindung an Bäche oder Gräben bestehen, blieb eine Menge Wasser stehen, so dass sich eine Landschaft mit zahlreichen kleineren oder größeren Seen bildete. Und dann setzte für einige Tage Frost ein und die verbliebenen Wasserflächen erhielten einen Überzug aus Eis. Tragfähig war das Eis allerdings nur dort, wo das Wasser nur einige Zentimeter tief und komplett durchgefroren war. Angesichts wieder ansteigender Temperaturen dauerte der Spaß mit dem Eis nur zwei bis drei Tage. Aber wenigsten sorgten Sonne und blauer Himmel an diesen Tagen für malerische Bilder und Lichtblicke im tristen Grau der vorausgegangenen Wochen. Bis das gesamte Wasser versickert ist und die Landwirte die Flächen wieder befahren können, dürfte es noch dauern – vorausgesetzt, in nächster Zeit kommen nicht noch weitere Regenmengen dazu. Vorteil auf der anderen Seite: Die in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangenen Grundwasservorräte sind wieder kräftig aufgefüllt worden.

Blick von der Pottmühle in ein „eisiges“ Wesertal am 9. Januar. Foto: Dietmar Meier

Rettungsaktionen und Promibesuch

Die Hochwasserlage hat auch wieder besondere Geschichten geschrieben. So auch am ersten Weihnachtstag, als sich Jäger auf der Lahder Weserseite daran machten, auf dem überfluteten Areal längs der Aue zwischen Schleusenkanal und Weser Hasen zu bergen, die sich auf kleine, gerade noch verbliebene „Inseln“ gerettet hatten. Die nicht alltäglichen Hilfsmittel der Jägerschaft dabei: Boote und Kescher. Von dieser ungewöhnlichen „Evakuierungsaktion“ sichtlich erschöpfter Hasen hatten wir ein Video in den sozialen Medien geteilt. An den Klickzahlen und Kommentaren war abzulesen, dass sich die Jäger mit diesem Einsatz am Weihnachtsfeiertag viel Respekt und Anerkennung verdient haben. Eine andere Rettungsaktion sorgte für Gesprächsstoff anderer Art, insbesondere in der Ortschaft Windheim. Erst am 1. Weihnachtstag waren Mitarbeiter der Biologischen Station und freiwillige Helfer in der Windheimer Marsch angerückt, um die dortigen Rinder der Biostation zu bergen. Der Pegel Petershagen zeigte zu diesem Zeitpunkt bereits 7,50 Meter an, knapp unter dem Höchststand von 7,75 Meter, der zwei Tage später erreicht wurde. Unsere Luftaufnahmen dokumentieren, dass die Windheimer Marsch bereits geflutet war und nur noch schmale Randstreifen der ehemaligen Kiesgruben sowie der zentrale Teil des Weges durch die Marsch aus dem Wasser ragten. Beide Zufahrtswege in die Marsch wurden vom Wasser überströmt und waren nur mit Traktoren passierbar.
Dass das Einfangen der halbwilden Rinder die Mitarbeiter der Biostation vor einige Herausforderungen stellte, dokumentieren Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie sich eine Gruppe von Rindern am späten Nachmittag von den Raufen fluchtartig in Bereiche mit tieferem Wasser zurückzieht, über eine Strecke von mindestens 400 Metern. Dirk Esplör, Leiter der Biostation, versicherte im Gespräch mit dem Petershäger Anzeiger, dass sämtliche Rinder geborgen worden seien, einschließlich der besagten Gruppe. Diese sei am folgenden Morgen, den zweiten Weihnachtstag, glücklicherweise wieder im Bereich der Raufen angetroffen worden. Am 1. Weihnachtstag habe man zunächst eine Mutterkuhherde aus dem Umfeld des Übungsplatzes der Pioniere abtransportiert, berichtete Esplör. Wegen der hereinbrechenden Dunkelheit hätten die weiteren Bemühungen auf den folgenden Tag verschoben werden müssen. Am zweiten Weihnachtstag sei dann der Abtransport einer weiteren Mutterkuhherde und der Jungbullenherde geglückt. „Die einzelnen Tiergruppen wurden von der Windheimer Marsch auf mehrere hochwasserfreie Weideflächen der Station im Raum Petershagen und Minden gebracht und am gleichen Tag noch mit Futter versorgt.“
Die verspätete Rettungsaktion begründet Esplör mit den Informationen über die Hochwasserentwicklung, die der Biologischen Station vorgelegen hätten: „Die Wasserstandprognosen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen deuteten allerdings darauf hin, dass auf eine Evakuierung entweder ganz verzichtet oder dass diese erst kurz nach Weihnachten erforderlich werden könnte. Gleichwohl wurden die Weideflächen engmaschig kontrolliert.“ Leider habe sich die Hochwassersituation anders entwickelt. „Als Fazit bleibt festzustellen, dass uns die Schnelligkeit des eingetretenen Wasserstandsanstieges überrascht hat und dass die Evakuierung eines Teiles der Tiere nur noch ,just in Time‘ und nicht mit einem sicherlich wünschenswerten Vorlauf erfolgen konnte. Gleichwohl bleibt auch festzuhalten, dass dank guter Vorbereitung und Ausrüstung, professioneller Umsetzung und verschiedener Helfer weder Mensch noch Tier zu Schaden gekommen sind.“ Und dann gab es schließlich auch noch ein besonderes Ereignis in Schlüsselburg. Am 5. Januar waren NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Umweltminister Oliver Krischer aus Düsseldorf angereist, um sich hier und nachfolgend in Vlotho ein Bild von der Hochwassersituation an der Weser zu machen. Dazu war noch mehr politische Prominenz vor Ort, so Regierungspräsidentin Anna Katharina Bölling, Landrat Ali Dogan und die heimischen Abgeordneten Oliver Vogt MdB, Bianca Winkelmann MdL und Benjamin Rauer MdL. Für die gewünschten Einblicke sorgten Bürgermeister Dirk Breves und die Schlüsselburger Feuerwehrleute Hartmut Precht und Sven Harmening. Im Rahmen einer kurzen Rede würdigte der Ministerpräsident die Arbeit der Einsatzkräfte und freiwilligen Helfer in den Hochwassergebieten von NRW und dankte für deren unermüdliche Arbeit – dokumentiert von Fernsehteams von RTL, SAT.1 und Welt und den Kollegen der regionalen Tageszeitungen.

Jäger in der Lahder Marsch bei der Rettung von Hasen. Foto: privat

 

Die Windheimer Marsch am 25. Dezember um 15:35 Uhr. Die Pfeile markieren die Standorte zweier Gruppen von Rindern der Biostation. Foto: Dietmar Meier

 

Die Landespolitik zu Gast in Schlüsselburg. Foto: Dietmar Meier

 

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