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Ahrens und das Hochwasser – Teil 2

„Sehr geehrter Herr Schapka, wie bereits heute angedeutet, liegt das Grundstück der geplanten Anlage Ahrens wider Erwarten tatsächlich im neu festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Weser.“

Als ein Mitarbeiter der Bezirksregierung Detmold die obige Nachricht inklusive des betreffenden Kartenmaterials am Freitag, 15. Juli 2016 an die Firma Ahrens und das von ihr beauftragte Planungsbüro versandte, war das der Beginn einer Geschichte, die seit nunmehr zwei Jahren für immer neue Entwicklungen sorgt. Ende noch offen.

Vorausgegangen war in der Bezirksregierung eine hausinterne Prüfung des Sachverhaltes, bei der der damit befaßte Sachbearbeiter am 15. Juli auf grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Lage der geplanten Anlage im Überschwemmungsgebiet  in Verbindung mit der Lagerung gefährlicher Abfälle hinweist und eine Zulassung des vorzeitigen Baubeginns ohne weitere Klärung ablehnt. Seine Kollegen legten in der Folge ein ungeahntes Tempo an dem Tag: Bereits am Dienstag, den 19. Juli 2016, also nach nur einem Arbeitstag, erteilte die Bezirksregierung Detmold der Firma Ahrens die Genehmigung zum vorzeitigen Baubeginn. Schon vorher – damit also ungenehmigt – war auf dem Ahrens-Gelände mit der Abgrabung der Deckschichten über den Kies- und Sandablagerungen der Weser begonnen worden. Vom Thema Überschwemmungsgebiet erfuhr die Öffentlichkeit zunächst nichts. Das änderte sich erst Ende November 2016, als eine Vertreterin des BUND während einer Einwohnerversammlung in der Sekundarschule in Lahde Kartenmaterial präsentierte, nach dem Teile des Ahrens-Geländes im erst 2015 planfestgestellten Überschwemmungsgebiet liegen.

BUND-Vertreterin Claudia Baitinger bei ihrem Vortrag in Lahde am 30.11.2016

Die BUND-Vertreterin berichtete dabei über ein Treffen im Umweltministerium Anfang November, bei dem Vertreter der Bezirksregierung darauf hingewiesen hätten, dass die Ahrens-Fläche nur aufgrund eines Fehlers als Überschwemmungsgebiet dargestellt worden sei.

Erklärung 1: Das „Loch“ im  Kanaldamm

Auf eigene Nachfrage teilte die Bezirksregierung via Pressestelle dazu mit, „dass die Ausweisung der Ahrens-Fläche als Überschwemmungsgebiet auf einem Messfehler beruhe, der zufällig bei Messungen in einer anderen Angelegenheit im Frühjahr 2016 entdeckt worden sei. Eine entscheidende Rolle spiele demnach die Höhe des östlichen Dammes des Schleusenkanals. Diese sei in den numerischen Modellrechnungen, die der Kartendarstellung des Überschwemmungsgebietes zugrunde läge, zu niedrig angesetzt worden.“

Bei dem genannten Treffen im Umweltministerium hatte die Bezirksregierung einen Lageplan (Bild oben) und ein Profil auf den Tisch gelegt, das die Auswirkungen des Fehlers im Modell illustrieren sollte. 

Die Erläuterung dazu: „Wäre der Damm niedriger, würde es bei einem hundertjährigen Hochwasser zu einem ,Überschwappen‘ des Kanals auf der östlichen Seite kommen, die dann zu einer Überschwemmung des Ahrens-Geländes führen würde, wie ein Profilschnitt zeigt. Da der Damm jedoch tatsächlich deutlich höher ist, hält er einem hundertjährigen Hochwasser stand. Die Fläche der Firma Ahrens wird nicht überflutet.“

Vor diesem Hintergrund wies die Bezirksregierung Ende 2016 auf ein anstehendes Änderungsverfahren hin, in dem das 2015 festgestellte Überschwemmungsgebiet den veränderten Gegebenheiten angepasst werde. Dabei werde auch die Stadt Petershagen beteiligt, wie Pressesprecher Andreas Moseke am 21.12.2016 mitteilte. In einem Schreiben der Bezirksregierung an die Bürgerinitiative vom 14.11.2016 heißt es dazu im Wortlaut: „Weiterhin erfolgt eine Neufestsetzung des Überschwemmungsgebietes der Weser, das Verfahren wird voraussichtlich einige Monate in Anspruch nehmen. Dazu werden die Träger öffentlicher Belange informiert, die Teilflächen werden mit einer ordnungsbehördlichen Verordnung aufgehoben.“

„Wir haben den Eindruck, dass hier ein weißes Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird“, hatte die BUND-Vertreterin kommentiert. Angesichts der sehr ungewöhnlichen Verfahrensweise — Neubewertung einer amtlich festgestellten Karte während eines laufenden Genehmigungsverfahrens — und der Brisanz des Themas war zu erwarten, dass die Bezirksregierung bestrebt sei, den geäußerten Verdacht schon im Ansatz auszuräumen. Antworten auf einige einfache Fragen zum Ablauf hätten hier schnell für Klarheit sorgen können. Dazu zählte unter anderem die konkreten Fragen, ob im Jahr 2016 Modellrechnungen mit neuen Höhendaten vom Kanaldamm durchgeführt worden waren, und wann die Bezirksregierung die Stadt Petershagen darüber informiert hatte, dass das Ahrens-Gelände nicht mehr im Überschwemmungsgebiet läge.

Die Antworten aus Detmold kann man nur als dürftig und ausweichend bezeichnen. Und trotz Verpflichtung gemäß Umweltinformationsgesetz wurden wesentliche Fragen gar nicht beantwortet (s.u.). Stattdessen folgte die nächste Überraschung. 

Erklärung 2: Nur eine Karte vertauscht

In einer Mitteilung der Bezirksregierung vom 25. Januar 2017 hieß es jetzt: „Inzwischen konnte in den Verfahrensunterlagen nach Aktenrecherche nachvollzogen werden, dass lediglich die Darstellung im Internet diesen Fehler enthielt.“ Anders ausgedrückt: irgendjemand hatte wohl eine falsche Karte ins Netz gestellt. Über diese neue Betrachtungsweise war diesmal auch die Stadt durch den Leiter der Abteilung 5 Umwelt und Arbeitsschutz, Lutz Kunz, persönlich informiert worden. Und die zunächst behauptete Problematik im Kanaldamm? Wurde nicht mehr erwähnt. Und auch von dem noch Ende 2006 angekündigten amtlichen Verfahren zur Korrektur des Überschwemmungsgebietes in Lahde war von da an nicht mehr die Rede.

Schon bei der Präsentation in der Einwohnerversammlung war dem „Redaktionsgeologen“ des Petershäger Anzeigers die zu dieser Zeit ebenfalls im Internet befindliche Hochwassergefahrenkarte (unten) aufgefallen, die aus fachlicher Sicht – vorsichtig formuliert – wenig Sinn machte. Bei einem 100-jährigen Hochwasserereignis würde am Riehebach das Wasser auf der östlichen Seite des Kanals der Kartendarstellung nach höher stehen als auf der westlichen Seite — obwohl beide Seiten durch einen Düker unter dem Kanal miteinander verbunden sind.

Diese Karte war ein mehr als deutlicher Beleg dafür, dass es bei der Hochwasserberechnung tatsächlich ein Problem gegeben hatte — entweder mit der Programmierung der Software, den im Programm eingegebenen Daten oder durch die Sachbearbeiter, die mit dem Program gearbeitet hatten. Dass diese Karte das Datum Juli 2013 trug – also vor Beginn des 2014 eingeleiteten Verfahrens zur Festsetzung des Überschwemmungsgebietes – gab den Anstoss, auch einen Blick in die diesbezügliche Verfahrensakte  zu werfen.

Ausschnitt aus der 2016 im Internet befindlichen Hochwassergefahrenkarte für den Bereich des Riehebaches nördlich des Kraftwerks. Unter Berücksichtigung der Höhenlage der Sohle des Riehebaches zeigt die dunklere Färbung auf der Ostseite des Kanals einen höheren Wasserstand an als auf der Westseite.

Überschwemmungsgebiet Weser 2015

Die Neuausweisung des Überschwemmungsgebietes Weser ging 2014 verwaltungsseitig den üblichen Gang. Nach der Erarbeitung des Entwurfes durch die Bezirksregierung wurde dieser zunächst den Trägern öffentlicher Belange (Städte, Kreis, Verbände etc.) zur Stellungnahme vorgelegt. Nach Auswertung der Rückmeldungen erfolgte die öffentliche Auslegung der Pläne, in die dann auch jeder Bürger Einblick nehmen und Einwendungen vorbringen konnte. Eine Sichtung der Akten in der Stadtverwaltung Petershagen brachte die nächste Überraschung.

In dem Entwurf, den die Bezirksregierung der Stadt Petershagen Anfang April 2014 zur Stellungnahme vorgelegt hatte, lag der größte Teil der Ahrens-Fläche im Überschwemmungsgebiet (Bild unten). Mit Schreiben vom 5.6.2014 äußerte die Stadt dazu keine Bedenken. Auch beim zweiten Schritt, der öffentlichen Auslegung, das gleiche Bild: Ahrens lag nach wie vor im Überschwemmungsgebiet. Am 16.10.2014 meldete die Stadtverwaltung nach Detmold, dass es keine Einwendungen gegeben hätte. In der Bezirksregierung selbst waren im Auslegungszeitraum ebenfalls keine Einwendungen für den Lahder Bereich eingegangen, wie der zuständige Mitarbeiter auf Nachfrage bestätigte.

Als das Überschwemmungsgebiet „Weser“ am 7.4.2015 in Kraft gesetzt wurde, zeigte sich unvermittelt ein anderes Bild: Das Ahrens-Gelände lag jetzt außerhalb des Überschwemmungsgebietes. Wichtig dabei: Rechtlich gesehen wäre die Stadt bei einer Planänderung seitens der Bezirksregierung vor der amtlichen Ausweisung erneut zu beteiligen gewesen. Diese Beteiligung ist nicht erfolgt. Notiz am Rande: Bei einer Einsicht in die Verfahrensakten bei der Bezirksregierung war das unten abgebildete Kartenmaterial nicht vorgelegt worden. Erst die Einsichtnahme bei der Stadt Petershagen förderte den beschriebenen Sachverhalt zutage.

Wer war eigentlich am Computer?

Besonders „reserviert“ zeigte sich die Bezirksregierung, sobald es um die Frage ging, wer die Hochwasserberechnungen wann durchgeführt hat. Beispiel:

Anfrage vom 22.12.2016

„Wann sind die Neuberechnungen zur Größe des Überschwemmungsgebietes im Lahder Gewerbegebiet durchgeführt worden? Sind diese Modellrechnungen von Mitarbeitern der Bezirksregierung im Hause der Bezirksregierung durchgeführt worden oder sind diese Berechnungen von einem externen Büro oder unter Mitwirkung von Mitarbeitern eines externen Büros durchgeführt worden? Gegebenenfalls, von welchem Büro?“

Antwort der Bezirksregierung vom 4.1.2017

„Der Berechnungsfehler wurde im März 2016 anlässlich einer anderen Anfrage entdeckt. Die korrigierten Werte werden seitdem von der Bezirksregierung Detmold im Rahmen des rechtlich gebotenen Verwaltungshandelns berücksichtigt.“

Die Antwort spricht Bände. Wie kann man deutlicher zum Ausdruck bringen, dass es in der Bezirksregierung bei dem Punkt offensichtlich ein massives Problem gibt?!

Das Thema Hochwasser steht in der Stadt Petershagen nicht erst seit der Angelegenheit Ahrens auf der Tagesordnung. Beim Blick in den Aktenschrank der Stadt stößt man bei das Stadtgebiet betreffenden gewässerkundlichen Untersuchungen in den vergangenen Jahren praktisch nur auf einen Namen. Ob Festlegung des Überschwemmungsgebietes 1996, der Hochwasseraktionsplan 2005, die jüngste Diskussion um die Deiche in Schlüsselburg und Hävern, darüberhinaus die Renaturierung von Ösper und Gehle, der Entwurf für die Biotop-Planung am Schiffsanleger: der Name des Mindener Büros Sönnichsen und Partner ist in der Stadt Petershagen sehr präsent. 2009 erhielt das Büro von der Bezirksregierung den Auftrag zur „Ermittlung von Überschwemmungsflächen der Weser auf der Grundlage eines 2D-Stömungsmodells“.

Was also lag näher, als bei der Suche nach den Urhebern der Karten des Überschwemmungsgebietes 2015 auch einmal direkt beim Büro Sönnichsen nach deren Beteiligung zu fragen. Denn auch für Unternehmen, die im Verwaltungsauftrag Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen, gilt die Auskunftspflicht gemäß Umweltinformationsgesetz.

Eine Antwort auf die Anfrage gab es nicht. Eine Reaktion indes schon. Firmenchef Detlev Sönnichsen leitete die Anfrage an die Bezirksregierung weiter, mit folgender Anmerkung: „Beste Grüße in die Büntestraße. Eigentlich möchte ich auf diese Frage nicht antworten. S.u., der Herr Meier ist sehr speziell und unberechenbar.“ Womit der Autor dieses Beitrages dann auch selbst namentlich in der Ahrens-Akte gelandet war. Wer denn nun wann das Überschwemmungsgebiet berechnet hat, liegt weiter im Dunkeln.

Und dann „entdeckte“ die Bezirksregierung im Frühjahr 2017, mehr als ein halbes Jahr nach Genehmigung des Baubeginns, nach vehementen Protesten doch noch die Grundwassermessstelle P5, die sich nur etwa 150 Meter nordöstlich des Ahrens-Areals befindet (Foto). Damit kam etwas Bewegung ins Spiel, Hintergründe und Zusammenhänge dazu in der nächsten Ausgabe.

Derzeit ist die Firma Ahrens aufgefordert, das in Teilbereichen zu tief eingebrachte Recyclingmaterial zur Gefahrenabwehr umzulagern. Die Stadt Petershagen ist in dieser Angelegenheit aufgrund der Veränderungssperre mit beteiligt. Auch dazu mehr in der folgenden Ausgabe.

Text: Dietmar Meier, Fotos: Dietmar Meier (1), Krischi Meier (1), Grafiken: Bezirksregierung Detmold

 

 

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