Freitag, 28. Juni 2024

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Aus dem Leben eines Landrates – Kinder und Medienkompetenz

In seinem Beitrag beschäftigt sich Landrat Ali Doğan in dieser Ausgabe mit dem Thema Kinder und Medienkompetenz.

Foto: Dietmar Meier

Von Ali Doğan
Als Eltern von zwei Kindern im Alter von 6 und 10 Jahren sprechen meine Frau Sevil und ich selbstverständlich häufig über Themen rund um Erziehung. Manches hehre Ziel, das wir uns vor der Geburt unseres 10-jährigen Sohnes gesetzt hatten, mussten wir schnell aufgeben. So zum Beispiel das möglichst lange Fernhalten von digitalen Endgeräten wie Tablets oder Handys. Noch intensiver wurde es bei unserer 6-jährigen Tochter, die schon mit 12 Monaten rege über den Smartphone-Bildschirm wischen konnte, ohne dass wir es bewusst unterstützt hätten. Aber wie heißt es so schön: Kinder sind wie ein Schwamm und saugen alles um sie herum auf. Jedenfalls ist dieser Erziehungsgedanke in den Brunnen gefallen und anstatt den Umgang mit digitalen Endgeräten zu verbieten, können wir ihn nur versuchen zu steuern. Aber das müssen wir auch tun. Denn es bereitet mir zunehmend große Sorgen, wenn ich sehe, welch unqualifizierte Inhalte teilweise konsumiert werden. Kinder, aber auch viele Jugendliche und Erwachsene, können die gesehenen Inhalte nicht immer adäquat reflektieren. Das heißt, dass oft das Gesehene ungeprüft für bare Münze gehalten wird. Das ist gefährlich. Als mir mein Sohn letztens stolz berichtete, dass irgendein Mensch irgendetwas Unmögliches gemacht habe, was er in einem Video gesehen habe, habe ich ihm die Grundzüge von Quellenprüfung erklärt. Ich habe ihn gefragt, ob er das denn auf einer anderen Seite geprüft habe. Zu meinem Erstaunen bejahte er dies. Anschließend habe ich ihn gefragt, ob er denn überprüft habe, ob beide Quellen auf dieselbe Ursprungsquelle beziehungsweise auf sich gegenseitig verwiesen haben. Das konnte mir ein Zehnjähriger natürlich nicht beantworten, aber nach gemeinsamer Prüfung konnten wir genau das feststellen. Der Inhalt war natürlich nicht wahr und eine mediale Übertreibung und im Prinzip Falschmeldung (fake news). Doch seien wir ehrlich: Wie viele Eltern machen sich bei jeder Nutzung der Kinder diese Mühe. Auch meine Frau und ich haben dafür regelmäßig keine Zeit. Man mag meinen, dass das Bildungssystem hierauf gut vorbereitet ist, zumal in der Pandemie ein Digitalisierungsschub eingekehrt ist und viele Schülerinnen und Schüler mittlerweile iPads oder andere Tablets haben und im Unterricht einsetzen. Ich sehe auch, dass viele Lehrkräfte und Schulen sich bemühen, die Kinder im Umgang mit dem Internet zu sensibilisieren. Doch ganz ehrlich: Wenn ich mir die Wahlergebnisse von Populisten bei den 16-24-Jährigen anschaue und zur Kenntnis nehme, wie stark TikTok durch diese Alterskohorte konsumiert wird, dann reicht unsere Geschwindigkeit bei der schulischen Sensibilisierung nicht aus. Extremisten, Verschwörungstheoretiker — seien es Rechtsextremisten, Linksextremisten und Islamisten — nutzen diese Medien bewusst, um ihren langfristigen Plan zu realisieren: Die Jugend ist unsere Zukunft und wenn diese extrem denkt, dann haben diese Kräfte gewonnen. Die rechtsextremen Parteien machen das seit Jahren erfolgreich und die Wahlergebnisse bei der besagten Altersgruppe sprechen Bände. Aber die Wahlentscheidungen beruhen zumeist auf vielen über die sozialen Medien verbreiteten fake news. Wie sonst ist die auffallend große Diskrepanz zu erklären zwischen den formulierten Sorgen der Wählerinnen und Wähler, ihrem ebenso großen Vertrauen, dass die EU uns hier besonderen Schutz bietet, und im Gegensatz dazu dem großen Stimmenzuwachs bei Parteien, die weder die EU stabilisieren wollen noch konstruktive Vorschläge für die drängendsten Probleme anbieten?
Ungeprüfte falsche Inhalte werden zur Grundlage von Meinungen und vergiften unser Zusammenleben. Noch schlimmer kann es werden, wenn die Künstliche Intelligenz diesen Prozess beschleunigt.
Daher hoffe ich, dass die schulischen Lehrpläne massiv überarbeitet werden und einen Schwerpunkt auf den Umgang mit Informationen aus dem Internet legen.

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